Wellenberge und Wolkenspiele
Rund 14000 Kilometer abgesessen und jetzt das: Nadelspitzer Regen piekt ins Gesicht, stürmische Böen treiben Tropfen in Ohren und Nase. Die Luft ist neblig grau, auf dem Meer türmen sich Wogen. Andererseits, die Enttäuschung wäre wohlmöglich schwer, hätte das Wetter nicht mitgespielt und stattdessen Sonne und Himmel blau leuchten lassen. Das will man nicht an diesem Ende der Welt. Im Kopf Geschichten alter Seefahrer und YouTube-Clips heutiger Yachties, die hier in tosender See ums Überleben kämpften. Kap Hoorn, das ist Traumziel für jeden, der sich historische und moderne Abenteuer auf den sieben Weltmeeren aus Büchern, Filmen und Internet reinzieht. 55`58´30 südlicher Breite steht wie keine andere Insel als Symbol für die Schrecken des Meeres und menschliches Versagen. 800 Schiffe und mehr als 10.000 Seelen wurden seit ihrer Entdeckung vor knapp vierhundert Jahren in die Tiefe gerissen. Und dann steht man auf dieser Klippe, mit klopfendem Herzen, die Beine fest auf den Boden gestemmt, wischt sich den Regen aus dem Gesicht und erlebt Glücksgefühle im Sturmgebraus.
Auf der nächtlichen Überfahrt von Ushuaia, südlichste Stadt Argentiniens, demonstrierte das Meer viele Meilen lang seine Kraft. Unser kleiner Kreuzfahrer „Mare Australis“ war behände durch die Brecher gestoßen. Wir rollten im Bett hin und her, zweifelnd, ob es am Morgen mit dem Ausbooten vor Kap Hoorn klappen würde. Wo sich Atlantik und Pazifik paaren, sich warme und kalte Luftwirbel in den Armen liegen, kann man nie sicher sein, ob man seinen Fuß letztendlich aufs Traumziel setzen darf. Zum Sonnenaufgang zeigte sich die Drake Strait eher milde, wellte sich kurzfristig bleischwer, für den Kapitän Grund genug, die Passagiere über Bordlautsprecher aus dem Schlaf zu reißen und sie aufs Anlanden vorzubereiten. Keine Viertel Stunde später stehen sechzig Mann parat, aus Europa, Südamerika und Asien, in wasserdichtem Outfit und Schwimmweste darüber. Jeweils zehn passen ins Zodiac, Gischt vom Bug mischt sich mit einsetzendem Nieselregen. Und schon ist die Leiter auf die Klippe erreicht, als erstes Fotomotiv stellt sich am Ende ein Schwarzer Karakara in Pose. Der Geierfalke hofft offensichtlich auf fressbare Mitbringsel. Seit 2005 ist die Isla Hornos UNESCO Biosphären Reservat. Die chilenische Regierung hat Holzstege über die empfindliche Grasnarbe gelegt. Ein Leuchtturm ist da, eine Kapelle, ein schlichtes Häuschen. Es beherbergt Wohn – und Technikräume für den militärischen Wächter über Kap Hoorn und chilenisches Seegebiet. Jeweils für ein Jahr ist der Aufpasser samt Familie hierher abkommandiert. Alle zwei Monate bringt ein Schiff Proviant.
Ein Spaziergang über die eher unspektakuläre Insel, ein Foto vom Monument der „Kap Horniers“ , das die Silhouette eines Albatros darstellt und in einem Gedicht an die toten Seeleute erinnert, und was nun? Ein Glas Champagner schlürfen, ein letztes Mal den Blick über die zerzauste Insel schweifen lassen, dunklen Wolkengeschwadern nachhängen und, abgehakt. Die „Mare Australis“ steuert das nächste Ziel an. Der Abschied von Kap Hoorn wird auf dem Schiff versüßt. Allein der Anblick des Dessertbüffets lässt beim saftig zarten Mega Steak Zurückhaltung walten. Die Verlockung von Pisco Sour Mousse und Rotweincreme, von Schokoladentorte und Mango Meringue ist unwiderstehlich. Im Bauch des Schiffes dürfte die Monatsernte eines Hühnerstalls lagern. Über die kulinarische Abwechslung an Bord gibt es nichts zu meckern. Nächster Ankerplatz ist Wulaia auf Isla Navarino. Für die einsame Villa am Strand haben nur die Guides unseres Schiffs einen Schlüssel. Das Haus ist wohl das südlichste Museum der Welt. Einst Residenz von Großgrundbesitzern, die ihre Riesenländereien von zigtausend Schafen abgrasen ließen, steht es jetzt vor bewaldeten Hügeln unter Naturschutz. Die Ausstellung ist hiesigen Urvölkern gewidmet, Yaganes und Selk`nam. Um die 8000 Jahre lebten sie unbehelligt, bevor europäische Seefahrer und Abenteurer, Siedler und Missionare auftauchten und ihnen den Garaus machten. Durch Gewehre, Krankheiten und Seelenfang.
Nur der Finger hilft um sich auf der Landkarte in dem unglaublichen Labyrinth von Inseln, Fjorden, Buchten und Passagen südlich von Feuerland zu orientieren. Die Schiffsroute durchläuft Beagle, O`Brian und Ballenero Kanal. Vor dem Schiffsfenster Berge, nichts als Berge, die senkrecht aus dem Wasser steigen. Grüne Einsamkeit mit Licht und Schattenspielen. Dramatische Natur, unberührt von Menschenhand. Eine namenlose Bay lässt tiefer blicken. Aus tief hängende Wolken schält sich ein Gletscher heraus und dann noch einer und noch einer. Es sind die eisigen Höhen der Cordillera Darwin. Am 29.Januar 1833 hat Charles Darwin vom Deck der HMS „Beagle“ den ersten Gletscher seines Lebens gesehen. Das Aquamarinblau des Eises ist ein wunderbarer Kontrast zum Schnee, notierte er. Nicht weniger fasziniert war Günther Plüschow. Der Deutsche überflog 1928 als erster die Bergkette im Doppeldecker und machte die ersten Luftaufnahmen. Ein Eisriese ist nach ihm benannt.
Vielleicht der richtige Zeitpunkt, um dem Kapitän auf der Brücke einen Besuch abzustatten. Falsch. Er würdigt uns keines Blickes. Kann er auch nicht. Die vor uns liegende Meeresenge fordert seine ganze Konzentration. Und die seiner Offiziere. Auch wir halten die Luft an. Wie auf einer horizontalen Achterbahn legt der Steuermann auf Kommando das Schiff in die Kurven, schlängelt es um Felsnasen und Inselvorsprüngen herum. Da, eine ausgelassene Horde Seelöwen will den Blick ablenken. Sie hüpfen im Wasser herum wie Kinder im Planschbecken. Die Männer auf der Brücke gucken eisern geradeaus. Sie kennen das. Robben, Buckelwale und Pinguine gehören zur alltäglichen Unterhaltung.
Der engen Passage heil entronnen schippern wir anschließend durch ungeschützte Gewässer, torkeln durch haushohe Wellenberge. Vielleicht der falsche Zeitpunkt für eine Weinprobe. Doch Bordsommelier Ricardo steht unerschütterlich hinter der Bar. Die „Mare Australis“ legt sich schräg auf die Seite, die Gläser rutschen weg, die erste Kostprobe geht voll daneben. Der Südpazifik will uns die feinen Tropfen vermiesen. Wir halten wacker durch. Erst im stillen Chico Fjord wechseln wir vom Barhocker aufs Schlauchboot. Der Piloto Gletscher am Ende kündigt sich durch Miniatur Eisberge an. Gut zwanzig Meter hoch steigt er aus silbrigem Meer. Zerklüftet, gespalten, unterhöhlt. Da ist Leben drin. Und tatsächlich, plötzlich knallt und prasselt es wie ein Feuerwerk. Der Riese kalbt. Hunderte eisblauer Splitter plumpsen ins Wasser, Eisschollen wanken. Die Mähnenrobbe darauf bleibt cool.
Letzter Höhepunkt der Kreuzfahrt: Magdalena Island, Habitat von hunderttausend Magellan Pinguinen. Die Kolonie bevölkert sich im Herbst. Zuerst gehen die Männchen an Land. Sie suchen ihre Nisthöhle und renovieren. Dann folgen die Weibchen, die den Mann ihres Herzens problemlos unter den einheitlich schwarzweiß Befrackten finden. Pinguine leben monogam, was nicht heißt, dass sie nicht mal fremd gehen. Trifft der Bräutigam nicht rechtzeitig ein, paart sich die Dame mit einem anderen. Eiablage und Aufzucht von ein oder zwei Jungen dauern bis Anfang April. Dann sind die Sprösslinge zum Abmarsch bereit. Ihre Reise ist weit. Manche Jungtiere schaffen es bis nach Brasilien oder Ecuador. Wir haben nur ein paar Meilen durch die Magellan Straße nach Puente Arenas vor uns. Im Hafen erreicht uns eine Nachricht. Ein Einhandsegler steuert auf Kap Hoorn zu. Wird er es schaffen? Es bleibt weiterhin spannend am südlichen Ende der Welt.
Information: www.australis.com
Fotos: www.spierenburg.de